Pfadfinder aus dem Unterallgäu zu Gast in der Synagoge Augsburg: Eine Exkursion zu den jüdischen Wurzeln unseres Glaubens
Die Pfadfinder und Wölflinge der Stämme „Sel. Laura Vicuna“ (Mädchen) und „Johannes Baptist“ (Buben) aus Bad Wörishofen und Türkheim besuchten die Synagoge in Augsburg und wurden mit ihren Eltern im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg-Schwaben (www.jkmas.de) herzlich empfangen.
„Sch’ma Jisrael – Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ So lautet das Gebot der Gottesliebe, ein Vers aus dem 5. Buch der Thorá (Dtn 6,5), den gläube Juden jeden Tag betend rezitieren. Und damit sich diese Worte auch dem Herzen tief einprägen, fährt der Text fort: „Und diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Kindern wiederholen. Du sollst sie sprechen, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben“ (Dtn 6,6-9).
Wer einen praktizierenden Juden schon einmal beim Morgengebet beobachtet hat, wird feststellen, wie wörtlich das Volk des Bundes diese Verse nimmt. Jeder „Sohn des Gesetzes“ (Bar Mizwa) ist dazu verpflichtet, sich die Gebetsriemen (Tefilín) anzulegen und damit den linken Arm zu umwickeln, vom Herzen abwärts bis zum Handgelenk. Auf die Stirne bindet man sich ein Kästchen, in dem ein Pergamentstück mit den Versen verborgen ist. Auch an den Pfosten der Haustüre wird so ein Röllchen in einer Kapsel (Mesusá) angebracht, damit sie einen immer an den Schutz und die Gegenwart Gottes erinnern.
Die Weitergabe des Glaubenserbes liegt nicht nur jüdischen Eltern am Herzen; auch die beiden Führerinnen des Kulturmuseums haben sich viel Mühe gegeben, den Kindern und Jugendlichen die Sitten und Bräuche ihrer Religion auf ansprechende und lebensnahe Weise nahezubringen. Gespannt und aufmerksam hörten die Wölflinge und Pfadis zu, welche Reinheits- und Speisevorschriften zu beachten sind, wie eine Thorarolle hergestellt wird, wie man das Pesachfest feiert, und dass Man(n) in der Synagoge den Kopf bedeckt. Und so betraten wir mit Barretten und Kippas die Synagoge.
Das Gotteshaus fanden alle besonders beeindruckend: das knapp dreißig Meter hohe Gewölbe des ehrwürdigen Kuppelbaues mit seinem gedämpften Licht, verkleidet mit grüngoldenem Mosaik und herrlichen Ornamenten verbindet Elemente des Jugendtils mit byzantinischen und orientalischen Details. Im Übergang zum kreuzförmigen Zentralbau deuten vier Reliefs die Thora als Baum des Lebens, verbunden durch Bibelzitate in hebräischer Schmuckschrift.
Die fünf Medaillons über dem Thora-Schrein stellen die hohen Feiertage dar. Dazwischen die Empore mit einer imposanten Menorah: Den siebenarmigen Leuchter hatte der Augsburger Bischof Joseph Stimpfle der jüdischen Gemeinde geschenkt – als Ersatz für die Orgel, die hier einst gestanden hatte, bevor sie unter dem Zwang der nationalsozialistischen Verfolgung an die Pfarrei Weßling am Ammersee verkauft wurde. Die Synagoge selbst wurde während des Ersten Weltkriegs gebaut und hat den Naziterror gottseidank überstanden, wenn auch nicht unbeschädigt. Seit 1985 dient sie der jüdischen Gemeinde, die heute ca. 1350 Mitglieder zählt, wieder als Kultraum.
Die beiden freundlichen Damen vom Kulturmuseum freuten sich über das Interesse und das Vorwissen unserer Pfadis und lobten ihr vorbildliches Benehmen. Schon in der vorausgehenden Meutenstunde hatten wir über das Judentum als Quelle unseres Glaubens gesprochen und viele Gemeinsamkeiten entdeckt – vor allem in den heiligen Festen und Schriften. Gott hat Israel als sein Bundesvolk erwählt; Jesus und seine Jünger waren Juden. Nur dass diese in ihm den Messias erkannten, auf den die Juden immer noch warten. „Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns,“ – so brachte es der jüdische Religionswissenschaftler und Publizist Schalom ben Chorin einmal auf den Punkt.
Und doch können wir von unseren älteren Glaubensgeschwistern, dem Volk Israel, zwei Dinge lernen: Zum einen, Gott in Ehrfurcht und Liebe die Treue zu halten in guten wie in schlechten Zeiten. Helfen können uns dabei viele Gesten, Gebete und Gebräuche, die uns jederzeit daran erinnern wollen, dass wir sein Volk mitten unter den Völkern sind. Zum anderen warten auch wir voll Freude auf das endgültige Kommen des Messias, der Gottes Herrschaft zum Durchbruch verhilft und alles vollenden wird; jedenfalls bekennen wir das in jeder Heiligen Messe mindestens drei mal!
An Gottes Königtum und die Herrschaft seines Wortes erinnert auch die Krone und der Königsmantel, welche die Thorarolle zieren. Dass viele Christen die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens so schlecht kennen, gehört zu den größten Tragödien der Geschichte. Sonst hätten vor achtzig Jahren mehr Getaufte erkennen müssen, dass der Judenhass in Wahrheit ein Hass auf Gott und seinen Herrschaftsanspruch ist. Papst Pius XI. erinnerte 1938 (ein halbes Jahr vor seinem Tod) die Katholiken daran: „Wie kann überhaupt ein Christ Judengegner sein? Kein Christ darf irgendeine Beziehung zum Antisemitismus haben, denn wir sind doch alle im geistigen Sinne Semiten.“
Foto: Bad Wörishofer Pfadfindergruppe vor der Augsburger Synagoge
(c) Titelfoto: Alois Wüst, CC BY-SA 3.0 (Foto zugeschnitten)