Ural – das ist das Gebirge, das Europa von Asien trennt und – so ungefähr – mitten in Russland liegt. Aus einer spontanen Idee wurde ein konkreter Plan: Wir wollten nach Berezniki, der östlichsten Missionsstation Europas – und dies in Kombination mit einer richtigen Fahrt. Der Ural bietet dazu viele Möglichkeiten. Die Berichte von Wanderungen durch das Gebiet des nördlichen Urals begeisterten: unberührte Natur, Weite, wie man sie sich auf Fahrt nur wünschen kann, Flüsse mit Trinkwasserqualität und überall die Möglichkeit zum Lagern und Feuermachen… Herz was brauchst du mehr?
Transibirische Eisenbahn
Schon als Abiturienten träumten wir davon, einmal mit der Transib in den Fernen Osten zu fahren. Nun nutzen wir diese berühmte Eisenbahnlinie einfach für die Anreise zu unserer geplanten Uralfahrt; so schnell kann´s gehen: zwei Fliegen mit einer Klappe! Die 28 Stunden im Wagon dritter Klasse werden zu unserem ersten beeindruckenden Erlebnis: Es ist erstaunlich, wie geduldig und friedlich so viele Menschen auf so engem Raum in Zeichensprache mit einander kommunizieren und klar kommen können. Man muss sich´s mal vorstellen: 18 Pfadfinder, voll bepackt mit 10 Tage Fahrtenverpflegung und -ausrüstung, stürmen die engen Abteile, in denen die Sitzbänke zugleich Gepäcktruhe und Liegebett für zwei Personen sind. In dem Moment, in dem wir alle drin sind, kann sich mit den Rucksäcken am Rücken keiner mehr umdrehen. Und wie sollen wir uns nun dort häuslich für 28 Stunden inklusive Übernachtung einrichten? Es geht. Ganz geduldig; einer nach dem anderen; unsere russischen Mitreisenenden eingeschlossen. Mit der östlichen Gelassenheit und immer einer heißen Tasse Tee aus dem Samowar des Wagons bewältigen wir gemeinsam die Herausforderung.
Musik – ein Spiegel der russischen Seele
Nun geht´s richtig los: Auf schier endlos scheinenden Forststraßen passieren wir den südlichen Ausläufer des Hauptkamms (Nordural), sammeln unsere Kräfte an einem Lagerplatz nahe der Wasserfälle Zhigalan und starten den Aufstieg auf das Hochplateau Kwarkusch: einem ca. 60 km langen Bergrücken, dessen Abhänge von Flusstälern tief zerschnitten und mit Taigawald aus Fichten, Zedern, Birken und einer Art von Weißtannen bedeckt sind. Oben lichtet sich der Wald und geht in Bergtundra, Steinflächen, unpassierbare sumpfige Taiga, Berg- und Moosflächen über.
Mit ein wenig Geschick, Erfahrung und Kompass folgen wir dem oft nur zu ahnendem Pfad nach Norden. Wir stampfen bei Regen und Sonne durch trockene Heide, moosige Sümpfe oder mannshohes Gras, erleben Mangel sowie Fülle an Feuerholz und Wasser, rufen unsere Engel zum Schutz vor Vielfräßen und Bären und erreichen nach sechs Tagen das Südufer des Flußes Uls. Die dortige, aufgrund der vielen vorhergehenden Niederschläge fast komplett unter Wasser stehende Fahrspur entlang dem Flußlauf ist für uns eine echte Herausforderung. Und nach x-maligem Umgehen der tiefen Pfützen durch die Uferwildnis sehnen wir uns zurück nach den Pfaden des Hochplateaus. Dennoch erreichen wir noch rechtzeitig im Zeitplan Solotanka, unsere erste Siedlung westlich des Uralhauptkammes.
Durchquerung Ost-West
Die russische Seele drückt sich durch die Musik aus… hatten wir das nicht schon oft gehört? Nun erleben wir tatsächlich die Besonderheit des russischen Singens. Nach unserer tagelangen Anreise per Zug und Bus auf die sibirische Seite des Urals, begrüßt uns strömender Regen im letzten Ort vor dem Outback: Severouralk! Aber wie durch ein Wunder tun sich uns innerhalb weniger Minuten alle Türen auf und wir werden vom Hauptplatz zum Stadionhotel chauffiert, das wir gratis für die kommende Nacht belegen dürfen. Im Empfangssalon sitzen wir später zur Abendrunde zusammen und erhalten sofort Besuch. Das Ergebnis ist ein erster wunderschöner gemeinsamer Liederabend: russiche und deutsche Lieder im Wechsel. Viele können wir gemeinsam singen. Die Titel sind aus alten Singewettstreiten bekannt: Stenka Rasin… Kalinka… Bajuschki baju… Am Ural, fern von der Heimat… Am nächsten Morgen können wir dieses alte Pfadfinderlied dann tatsächlich auch dort singen, wo es hingehört: An den Fuß des Urals.
Floßfahrt
Dort steigen wir auf den Wasserweg um und lassen uns mit zwei Floßen auf dem glasklaren Wasser der Uls bis zur Einmündung der Vishera treiben. Zugegebenermaßen: Unsere Floßfahrt beginnt etwas kurios: Die Luftpolster für den Bau zweier Katamaran-Floße haben wir vermittelt bekommen. Die fehlenden Holzbretter werden von den russischen Helfern einfach von alten Häusern der Siedlung abmontiert:??? ?? ????????- so ihr Kommentar…
Die Vishera ist einer großer, ruhiger Fluss, der aus den nördlichen Bergen kommend nach Westen Richtung russisches Tiefland abfließt. Der starke westliche Gegenwind verringert auf dem breiten Flusslauf deutlich unser Fahrtempo und bald binden wir Floß an Floß, um mit Hilfe eines kleinen Bordmotors wie auf einer kleinen schwimmenden Insel, beladen mit einem riesen Haufen Gepäck und 21 Personen, stromabwärts zu tuckern.
Doch alles hat seine gute Seite: Wenn der Motor aufgrund technischer Defekte ausfällt, lernen wir die wenigen stillen Momente auf dem Floß im ruhig dahinströmendem Wasser der Vishera richtig zu schätzen! Und tatsächlich lässt sich bei der eisigen sibirischen Kälte der darauffolgenden Tage dem monotonen Dröhnen am Ende des Floßes auch etwas Gutes abgewinnen…
Nach über 100 Flußkilometern erreichen wir eine Brücke, die unser Floß-Schiff zum Anliegen zwingt. Und so nehmen wir Abschied von der russischen Wildnis, ihren tundraähnlichen Hochebenen, ihren Birkenwäldern, glasklaren Flüßen, kalten Nächten, warmen Sonnenstunden und ihrer faszinierenden Weite.
Mehr zu der Russlandfahrt gibt es in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift Pfadfinder Mariens zu lesen.